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(Foto: Edmund Käbisch)
Dr. Käbisch hielt folgende Besinnung zur Dokumentenübergabe am 22. November 2005
Wir stehen mit dem Kirchjahr in einer Wendezeit. Hinter uns liegt der Ewigkeitssonntag, vor uns liegt Advent. Zum Ewigkeitssonntag wird nach hinten geschaut: Christen denken an die Verstorbenen. Im Advent wird nach vorn gesehen: Wir reden von der Zukunft, die kommen wird. Vergangenheit und Zukunft gehören im Leben zusammen. Das war auch das Thema des Schülerprojektes: "Zur Zukunft gehört die Erinnerung". Und am heutigen Tag wird mit der Aktenübergabe ein wichtiger Abschnitt des Projektes abgeschlossen. Wir wollen uns bewusst machen, die Übergabe steht in einem Prozess, der vor Jahren begann und noch nicht zu Ende ist. Deshalb möchte ich einige Schlaglichter dieses Prozesses hervorheben.
- Ich bin Patientenfürsprecher in Zwickau. Ich wurde vom Oberbürgermeister der Stadt berufen, in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie für die Patienten da zu sein. Dieses Ehrenamt wurde in Deutschland gesetzlich eingeführt, damit eine unabhängige Person stets Zutritt zu den psychisch kranken Menschen hat und kontrolliert, damit so etwas wie im Dritten Reich nie wieder passieren kann!
- Im Religionsunterricht besuchten wir das Hermann-Gocht-Haus in Zwickau. Dort erfuhren wir von der mutigen Tat des Pfarrers Gocht. Er war der einzige in der Nazizeit, dem es gelang, fünf Bewohner seines Heimes vor der Vergasung zu retten. Er brachte Zivilcourage und Mut auf. Gocht sollte ein Vorbild sein und junge Menschen ermutigen, selbst Zivilcourage zeigen.
- So entstand bei mir das Interesse mehr von diesem Verbrechen der Nazis zu erfahren. Ich habe mich sachkundig gemacht und Literatur gelesen. Dann begann ich in Archiven zu recherchieren. Dafür habe ich mir entsprechende Bestätigungen z. B. von der Stadtverwaltung, Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein eingeholt, um in diesen brisanten Akten forschen zu können.
- Meine Erkenntnisse habe ich den Religionsschülern vorgelegt und sie gefragt, ob sie diese Aufarbeitung als ein Projekt angehen wollten. Sie sagten Ja.
- Ich gab ihnen konkrete Arbeitsaufgaben mit dem Ziel, eine Ausstellung zu gestalten. Sie wurde am 1. Juni 2005 im Landgericht Zwickau eröffnet. Es bestand ein großes Interesse an der lokalen Geschichtsaufarbeitung, was an den Besucherzahlen feststellbar war.
- Wegen der regen Nachfrage wurde beschlossen, aus den Schautafeln eine Wanderausstellung zu gestalten und mit neuen Rechercheergebnissen zu aktualisieren. So konnte die Ausstellung bereits im Landratsamt Werdau und im Rathaus Reichenbach gezeigt werden.
- Eine wichtige Anregung kam von der Leiterin des Stadtarchivs von Zwickau Frau Silva Teichert. Sie fragte an, ob die Ausstellungstafeln nach Beendigung der Ausstellung ins Stadtarchiv eingelagert und archiviert werden könnten. Sie dokumentieren ein Stück Stadtgeschichte. Und so kam bei mir der Gedanke, ob nicht auch die Akten, die in mühsamer Arbeit aus den verschiedenen Archiven Deutschlands zusammengetragen wurden, auch dort deponiert und archiviert werden sollten.
- Es wurden die Genehmigungen eingeholt, dass die Kopien datenschutzgerecht archiviert werden können. Auch wurden alle Namen und Informationen der Opfer des Verbrechens gesammelt und in einer Datei gespeichert. Heute findet die Übergabe von 86 Opferakten und der vorläufigen Datei von 541 Euthanasieopfern der Region statt. Es ist nur ein Anfang, denn die Recherchen sind noch nicht abgeschlossen. Gleichzeitig werde die bisher erschienen Presseberichte und die Fernsehaufzeichnungen übergeben.
- Heute kommen die Kopien der Akten an den Ort zurück, wo sie eigentlich hingehören. Die Übergabe wollen wir symbolisch verstehen – in memoriam – die Opfer kehren in Würde in ihre Heimatstadt zurück, wo sie einst gelebt hatten, dann aber als "lebensunwertes Leben" vernichtet und darauf jahrzehntelang vergessen wurden
- Diese Übergabe erfolgt im Beisein von vier heue noch lebenden Zeitzeugen bzw. Betroffenen, deren Familienangehörige vergast wurden.
Im Anschluss dieser Feierstunde wurde ein Kranz niedergelegt an der Gedenktafel am "Haus Muldenblick". Für die Betroffenen wird es z. T. das erste Mal sein, dass ihren Angehörigen öffentlich gedacht wird und sie nun einen würdigen Ort des Gedenkens haben.