Gesetz Zwangssterilisation
Die Gesundheitspolitik in der Nationalsozialistischen Zeit war unvorstellbar grausam und wurde in Deutschland sehr hart geführt. Am 14.7.1933 proklamierte man das Gesetz "Zur Verhütung erbkranken Nachwuchses". Dieses zog nach sich, dass sich Menschen der Zwangssterilisation unterziehen mussten, wenn einer unter folgenden Krankheiten leidet: angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärem (manisch-depressivem) Irrsein, erblicher Fallsucht, erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea), erblicher Blindheit, erblicher Taubheit, schwerer erblicher körperlicher Missbildung und schwerer Alkoholismus. Eine erstaunlich hohe Zahl (300000 - 400000) an Zwangssterilisationen in den Jahren 1934-1939 belegt, dass dieses Gesetz sehr hart Anwendung fand. Doch einige fanatische Nationalsozialisten wollten mehr – die Vernichtung. Die Kindereuthanasie ist organisatorisch früher vorbereitet worden, als die Erwachseneneuthanasie. (Euthanasie [griech.] = guter Tod; aber für die Nazis war E. der Gnadentod lebensunwerten Lebens)
Erfassung
So wurde ab dem Jahr 1939 die Vernichtung der behinderten oder nicht in die Gesellschaft passenden Kinder eingeführt. Es wurde der so genannte "Reichsausschuss" gegründet, welcher die Aufgabe besaß, die schweren von erb- und anlagebedingten Leiden wissenschaftlich zu erfassen. Die Tätigkeit des "Reichsauschusses" betraf zunächst die Kinder, welche nicht in Heimen, sondern bei ihren Eltern lebten. Nach der Geburt wurden die Neugeborenen von einem Amtsarzt untersucht, der gleichzeitig dafür zuständig war "Missgestaltete Neugeborene", wie z. B. ein Klumpfuß, zu melden. Die Meldebogen, die zunächst zur Erfassung der "Missgestalteten" dienten, wurden am 7. Juni 1940 wieder zurückgenommen. Es wurde gesagt, dass sich der Meldebogen "als nicht ausreichend" erwiesen hat. Es wurden nun neue Meldebogen eingeführt, welche wesentlich genauere Angaben über das Neugeborene machten. Die Amtsärzte hatten die Aufgabe, die eingehenden Meldebögen zu überprüfen, doch in der Regel wurde dieser Bogen ohne Nachuntersuchung an den Reichsausschuss weitergeleitet. Krankenblätter wurden nicht beigelegt. Die Adresse des Reichsausschusses diente in Wirklichkeit nur als Briefkasten, denn die Meldungen landeten sofort in der Abteilung II b der Kanzlei des Führers. Dort wurde den beiden Nichtmedizinern Hefelmann und von Hegener die Aufgabe übertragen die Fälle auszusortieren, die ihrer Meinung nach nicht für die Euthanasie in Frage kommen. Der weitere Weg der Meldebogen ging an drei Gutachter des Reichsausschusses: Catel, Heinze und Wentzler. Jeder der drei Herren darf die Entscheidung des Vorgängers wissen. Diese drei müssen lediglich ein oder ein eintragen, um über das Leben des Kindes zu entscheiden. Es wird ohne Krankenblatt und ohne das Kind gesehen zu haben, entschieden. Anfangs wurde mit dem Amtsarzt Rücksprache gehalten, doch aus Geheimhaltungsgründen, wird dies später unterlassen. So genannte "Zweifelsfälle" wurden in "Kinderfachabteilungen" gebracht, um die Kinder dort ein wenig zu beobachten und anschließend sofort umzubringen.
Kind Ilse
Es gibt unzählige Beispiele für die Kindereuthanasie, wie z. B. die kleine Ilse. Ernst Klee zitiert aus den Sonderakten des Gesundheitsamtes
Waldshut:
"Am 21. April 1940 wird Ilse geboren. Am nächsten Tag schreibt die Hebamme die Meldung eines Falles von Klumpfüßen mit Mongolismus (zusammen mit einem Arzt, wohl dem Amtsarzt) und bekommt dafür die ihr zustehenden 2 Reichsmark. Der Fall wird am 8. Mai nach Berlin W 9, Postschließfach 101 (Reichsausschuss) gemeldet. Am 12. Juni meldet sich Dr. Wentzler vom Reichsausschuss, das Gesundheitsamt solle im Oktober über den geistigen Entwicklungsstand des Kindes berichten. Am 18. Oktober teilt das Gesundheitsamt dem Reichsausschuss mit: "Das Kind bietet heute deutlich das Erscheinungsbild der mongoloiden Idiotie." Am 3. Februar schickt der Reichsausschuss den üblichen, rotumrandeten Schnellbrief, einen Formbrief, in den lediglich Datum der Meldung, Namen und Adresse des Opfers sowie die zur Tötung vorgesehen Anstalt eingetragen werden..." Den ahnungslosen Eltern der Ilse werden auch sämtliche Kosten in der jetzigen Anstalt, die für Ilse entstehen bezahlt, selbst die Fahrtkosten. Die Eltern machten sich große Hoffnung, jedoch das Kind "stirbt" umgehend. Erst 1940 wird der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass nunmehr z. B. in Görden eine Jugend - Psychiatrische Fachabteilung eingerichtet worden wäre. Tatsächlich besteht sie jedoch seit Oktober 1939, "denn die positiv begutachteten Fälle", so Hefelmann, "wurden beim Reichsausschuss nicht gehortet, sondern weitergegeben, damit die Einschläferung der Neugeborenen möglichst bald erfolgte. Dadurch sollte vermieden werden, dass engere Bindungen der Mütter an ihre Kinder erfolgten." Man nimmt an, dass insgesamt 30 Kinderfachabteilungen bestanden haben sollen.
Folgende statistische Beobachtung:
Auffällig dabei ist, dass die Prozentzahl an behinderten protestantischen Kindern sowohl konfessionslosen Kindern sehr viel höher ist, als die der katholischen. Im Zeitraum vom 1. Oktober 1939 bis zum 31. Dezember 1940 wurden in Ludwigsburg 12 Fälle von "missgestalteten Neugeborenen" gemeldet. Dabei wurde in nichtkatholische und katholische Neugeborene aufgelistet (es war nur ein Kind davon katholisch). Das Staatliche Gesundheitsamt Mühlacker meldet nur evangelische "Missgestaltete".
Kindereuthanasie Ludwig R.
Ludwig wurde am 8.4.1923 in Zwickau geboren. Er kam schon behindert zur Welt, was im 3. Reich eine sehr große Auswirkung auf die betroffenen Menschen hatte. Deshalb wurde recht schnell der Antrag auf Unfruchtbarmachung, auf Sterilisation, gestellt. Dieser Prozess brachte einigen Aufwand an Bürokratie mit sich, wie man in dieser Mappe unschwer erkennen kann. Außerdem wurde Ludwig R. mehrmals in andere Anstalten verlegt, sodass die Familienangehörigen keine Chance hatten, ihn zu besuchen. Die Angehörigen durften nicht hinter die Systematik der Regierung kommen, die nämlich die letztendliche Euthanasie vertuschen wollte. So verlegte man die Patienten mehrmals, wie auch Ludwig R., er wurde von Arnstadt in eine Zwischenstation gebracht und von dort aus kam er, wie alle Sachsen, nach Pirna- Sonnenstein zur Vergasung. Dies war eine Vernichtungsanstalt (siehe andere Präsentationsmappen). Doch dort ist er nie registriert worden. Auf dem Standesamt Zwickau wurde im Geburtenregister der 11.8.1940 als Todestag angegeben, der in der Vernichtungsanstalt Grafeneck stattgefunden haben soll. Zur Verschleierung des Mordes wurden Ort und Datum gefälscht. So wurden Sterbedaten gewöhnlich um 10-14 Tage nach hinten verschoben, sodass die Anstalt noch Betreuungsgelder von den Angehörigen verlangen konnte. Außerdem wurden die Orte des Todes weit entfernt von dem Heimatort des Euthanasieopfers gewählt, sodass es den Angehörigen erschwert hat, nachzuvollziehen, in welcher Anstalt ihr Angehöriger umgebracht wurde; außerdem wollte man ihnen unliebsame Anfragen und Besuche erschweren, damit das systematische Abschlachten der Menschen im Dunkeln fortgeführt werden konnte.
Kindereuthanasie Günther V. aus Reinsdorf
Aus den Akten des Bundesarchivs über sein kurzes Leben:
1934 | 9. März | Geburt in Reinsdorf Staatsangehörig: deutschblütig |
1934 | 1. April | Taufe in der St.Jakobus-Kirchgemeinde zu Reinsdorf ärztliche Diagnose: angeborener Schwachsinn I a |
1939 | 26. Juli | Betätigung des Bürgermeisters für die Anstaltsaufnahme Eltern unterschreiben Verbindlichkeitserklärung - Zahlung aller Kosten |
5. Aug. | Katharinenhof in Großhennersdorf Günther darf keinen Besuch erhalten |
|
2. Okt. | Postkarte von Mutter an Anstalt Anfrage, ob Günther Fortschritte macht |
|
4. Okt. | Antwortbrief: Günther geht es gut er hat sogar etwas zugenommen tagsüber sei er meist mit anderen Kindern im Tagesraum- er ist fröhlich |
|
1940 | 8. Jan. | Brief vom Vater an den Katharinenhof Eltern wollen Günther besuchen Antrag auf Fahrpreisermäßigung |
10. Jan. | Antwortbrief - Antrag wird abgelehnt Grund: Besuch nicht möglich, da Diphtherie umgeht Günther jedoch wäre nicht erkrankt - kein Grund zur Sorge |
|
10. März | Brief von Eltern Bitte und Antrag auf Urlaub für Günther |
|
14. März | Antwortbrief von Dr. Daniel - Ablehnung des Antrages Grund - Günther wäre fast immer kränklich
|
|
10. April | Brief von Mutter Vater wurde in den Krieg eingezogen - Bitte um ein Bild |
|
11. April | Brief von Mutter Bild wird angemahnt, Vater möchte gern ein Bild von seinem Sohn haben, da er beim Militär ist höflicher Wunsch, Günther für einige Wochen nach Reinsdorf zu holen |
|
26. Juni | Postkarte von Mutter - noch keine Nachricht vom Katharinehof Mutter fordert, wenn sie in acht Tagen keine Post erhält, dann kommt sie selbst vorbei und holt Günther ab |
|
28. Juni | Entschuldigungsbrief von Dr. Daniel
|
|
27. Sept. | Verlegung in die Landesanstalt Großschweidnitz | |
1. Okt. | Sammeltransport nach Pirna-Sonnenstein zur Vergasung Günthers Todestag |
|
12. Okt. | Falschbeurkundung vom Standesamt Hartheim (Oberdonau), dass an diesem Tag Günther V. gestorben ist (Registriernummer: 50/63 1940) |
Wahrscheinlich konnten die Eltern ihren Sohn nicht noch einmal vor der Vergasung sehen!
Kindereuthanasie Johannes Ernst G.
1937 | 12. Jan. | in Mosel geboren (kam 4 Wochen zu früh auf die Welt) |
20. Jan. | Taufe Johannes kam in die Zwickauer Abteilung pflegebedürftiger Säuglinge und Kleinkinder ("Behandlung missgestalteter usw. Neugeborener und Kleinkinder") wegen mangelhafter körperlicher Entwicklung |
|
1942 | Der Leiter des Staatlichen Gesundheitsamtes Zwickau-Land machte eine Meldung
über den Jungen an den Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von
erb- und anlagebedingten Leiden daraufhin kam er in die Universitäts-Kinderklinik zu Leipzig als Forschungskind – um mit ihm eine "neuzeitliche Therapie" durchzuführen im selben Monat kam er noch zu einer Untersuchung mit der Diagnose: "Ausgesprochener mongoloider Idiot, dauernd in Bewegung, heiter, nimmt zu wenig Anteil an der Umgebung, spricht vor sich hin " |
|
1943 | 20. Sept. | Johannes verstarb in der Uniklinik Leipzig, der Sterbefall wurde beim Standesamt
II Leipzig beurkundet, jedoch im Sterberegister der Kirchgemeinde wurde Mosel als Sterbeort angegeben |
Kindereuthanasie Johannes G.
1937 | 12. Jan. | in Mosel geboren (kam 4 Wochen zu früh auf die Welt) |
20. Jan. | Taufe | |
Johannes kam in die Zwickauer Abteilung pflegebedürftiger Säuglinge und Kleinkinder ("Behandlung missgestalteter usw. Neugeborener und Kleinkinder") wegen mangelhafter körperlicher Entwicklung | ||
1902 | 01. April | Eröffnung der Heil- und Pflegeanstalt mit 9 Häusern für Männer und 11 Häuser für Frauen |
1942 | der Leiter des Staatlichen Gesundheitsamtes Zwickau-Land machte eine Meldung über den Jungen an den Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten Leiden | |
daraufhin kam er in die Universitäts-Kinderklinik zu Leipzig - als Forschungskind -
um mit ihm eine "neuzeitliche Therapie" durchzuführen im selben Monat kam er noch zu einer Untersuchung mit der Diagnose: "Ausgesprochener mongoloider Idiot, dauernd in Bewegung, heiter, nimmt zu wenig Anteil an der Umgebung, spricht vor sich hin " |
||
1943 | 20. Sept. | Johannes verstarb in der Uniklinik Leipzig, der Sterbefall wurde beim Standesamt II Leipzig beurkundet, jedoch im Sterberegister der Kirchgemeinde wurde Mosel als Sterbeort angegeben |
Kindereuthanasie Egon S.
1931 | 08. Nov. | in Mosel geboren |
Kind war gehbehindert Mutter brachte Egon immer zur Schule |
||
1943 | wurde eine Schwester geboren der Mutter wurde geraten, das Kind wegzugeben Egon wurde in die Landesanstalt für Psychiatrie Großschweidnitz gebracht (Anstalt, in der über 5000 Patienten mit Medikamenten vergiftet oder durch systematischen Nahrungsentzug getötet wurden) |
|
1944 | 30. April | kam die Nachricht, Egon sei an Lungenentzündung gestorben |
Egon wurde in Mosel beerdigt (wahrscheinlich Urne) |